Interview

„Geheimnisse können produktiv sein“

Der Heidelberger Sexualtherapeut Ulrich Clement hat häufig mit Paaren zu tun, bei denen das sexuelle Bedürfnis nachgelassen hat. Ein Interview

 

Prof. Dr. Ulrich Clement ist Leiter des Instituts für Sexualtherapie in Aachen und Heidelberg und arbeitet seit vielen Jahren in der Paartherapie. Er ist Autor des Buches „Guter Sex trotz Liebe“ und hat 2007 im „stern“ eine Reihe viel beachteter Kolumnen veröffentlicht. „Liebe hält gesund“ sprach mit ihm über die Probleme, die in langjährigen Partnerschaften auftreten.

Liebe hält gesund: Herr Clement, bei vielen Paaren lässt die sexuelle Leidenschaft mit den Jahren nach. Ist das ein normaler Prozess?

Prof. Clement: Dass das sexuelle Interesse am immergleichen Partner nachlässt, ist fast immer so. Aber ob das schlimm ist oder sogar gut, liegt ganz in der Bewertung der Partner. Es gibt auch Paare, die mit einer Sexualität auf kleiner Flamme ganz gut leben können.

Viele haben jedoch den Wunsch nach mehr Leidenschaft. Was lässt sich da tun?
Zunächst einmal ist es wichtig, sich das Problem einzugestehen und darüber zu sprechen. Man muss schauen, wo man steht und ob man allein wieder aus der Falle herauskommt. Das ist allerdings das bildungsbürgerliche Ideal, über Sexualität zu reden. Die meisten Menschen machen das nicht so explizit.

Sondern?
Meistens passiert etwas Unerfreuliches. Da geht einer der Partner mal fremd, oder einer ist unglücklich und heult sein Herz bei Freunden aus. Erst dann, wenn es nicht mehr funktioniert, horchen die Partner auf und versuchen gegenzusteuern.

Es gibt Therapeuten, die Seitensprünge sogar empfehlen. Was sagen Sie dazu?
Das halte ich für Unfug. Aber ich würde einen Seitensprung auch nicht automatisch als ein Problem ansehen. Ein Seitensprung ist ein relevantes Ereignis in einer Paarbeziehung – und ob er zum Auseinanderbrechen der Beziehung führt oder zu einer Krise, die bewältigt werden kann, hängt vom Einzelfall ab.

Sie betonen in der Paartherapie die Rolle des Spiels. Was bedeutet das?
Es geht darum, etwas auszuprobieren. Oft ist es ja so: Ein Partner wünscht sich eine gewisse sexuelle Praxis, aber der andere sagt: Das gefällt mir eigentlich nicht. Dann stagniert die Entwicklung, weil derjenige, der Nein sagt, den Kurs bestimmt. Spielen würde heißen: Ich lasse es mal darauf ankommen. Ich weiß noch nicht, ob mir das Spaß macht, aber das entscheide ich erst hinterher.

Es ist auch die Rede davon, sich als Paar wieder fremd zu werden ...
Das darf man sich nicht wortwörtlich vorstellen, damit ist etwas anderes gemeint: Nehmen wir zum Beispiel einen Mann, der seit 20 Jahren gewohnt ist, dass die Frau abwartet, bis er die Initiative ergreift – für den kann es fremd und neu sein, wenn plötzlich die Frau sagt: Ich stell’s mir aber so vor. Es geht darum, Unausprobiertes auszuprobieren, Ungesagtes zu sagen.

Hängt das mit der „partnerschaftlichen Selbstzensur“ zusammen, von der Sie sprechen?
Ja. Partner gestehen sich nicht alles ein, was ihre sexuellen Wünsche, Aversionen und Unzufriedenheiten betrifft. Sie wählen sehr genau aus, was sie dem Partner zumuten und was nicht. Neue Leidenschaften, die der Partner noch nicht kennt, alte Vorlieben, von denen man lediglich vermutet, dass der Partner sie nicht mag – die fallen unter die Zensur.

Also ist es gut, diese Zensur zu durchbrechen?
Wenn man das so einfach sagen könnte – es gibt auch Geheimnisse, die man besser für sich behält, weil sie nur Schaden anrichten. Ob man gleich vorschlägt, mit der Partnerin und ihrer besten Freundin in einen Swingerclub zu gehen, sollte man sich schon überlegen. Doch andere Geheimnisse können produktiv sein, weil etwas in Bewegung kommt. Das Problem ist: Man weiß es vorher nicht.

Und wann ist der Punkt erreicht, wenn ein Paar zum Therapeuten gehen sollte?
Wenn beide aus eigener Kraft nicht weiter wissen. Ich erlebe oft, dass Paare sagen: Wir haben jetzt dies und das probiert, aber wir sind festgefahren. Dann braucht es einen Dritten, der moderiert, die Diskussion steuert und neue Ideen bringt.

 

www.ulclement.de


www.stern.de/sexkolumne

 

Ulrich Clement:

 

Guter Sex trotz Liebe.

Wege aus der verkehrsberuhigten Zone,


Ullstein Verlag,
270 Seiten, 18 Euro

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