Thema

Alles ist möglich

Ältere Menschen und Sexualität – das passt für viele nicht zusammen. Dabei belegen alle Studien zum Thema, dass die sexuelle Aktivität selbst im hohen Alter nicht nachlässt. Und bei körperlichen Einschränkungen kommt die moderne Medizin zu Hilfe.

Die Vorstellungen sind klar festgelegt: Junge Menschen haben Sex, ältere nur noch Zärtlichkeit. Das Bild, das insbesondere die Medien zeichnen, sieht für die Generation ab 55 Jahre zwar glückliche Ehen und ein erfülltes Leben vor, aber Sexualität wird dabei fast immer ausgeklammert. Dabei sieht die Realität ganz anders aus. Alle Umfragen und wissenschaftlichen Studien beweisen schon seit Jahren, dass ältere Menschen das Interesse am Sex keineswegs verlieren. Umso mehr, als gerade die erste Generation ins Rentenalter kommt, die die sexuelle Befreiung der 60er- und 70er-Jahre selbst miterlebt hat.

Vor kurzem kam eine Untersuchung der Universität von Chicago heraus. Dabei wurden 3000 Männer und Frauen im Alter von 57 bis 87 Jahren befragt. Das Ergebnis: Drei Viertel aller Menschen zwischen 57 und 64 Jahren haben regelmäßig Sex. Bei den 65- bis 74-Jährigen ist es immerhin noch die Hälfte, danach ein Viertel. Auch andere Studien zeigen, das das sexuelle Interesse selbst im Alter von 80 oder 90 Jahren noch deutlich vorhanden ist.

„Biologisch ist alles möglich – auch im Alter“, sagt die Sexualtherapeutin Eleonore Pfundstein. Sie arbeitet seit mehr als 20 Jahren für die Beratungsstelle von pro familia in Heilbronn. Eleonore Pfundstein empfiehlt auch Atemübungen, Tanzen oder Yoga, um sich der Körperlichkeit im Alter neu oder besser bewusst zu werden. Denn wichtig sei angesichts des vorherrschenden jugendlichen Körperbildes auch der Mut, sich der Sexualität zu öffnen.

Natürlich treten im Alter oft körperliche Einschränkungen auf. Viele Frauen erleben nach der Menopause, dass die Scheide nicht mehr so feucht wird. Männer können Erektionsstörungen bekommen. Laut dem Apothekenmagazin „Senioren Ratgeber“ haben viele ältere Menschen Hemmungen, deshalb zum Arzt zu gehen. Dabei gibt es in beiden Fällen medizinische Hilfe – vom Gleitgel bis zum Potenzmittel. Der Freiburger Psychologe und ISG-Vorstand Dr. Michael Berner rät sowohl den Ärzten als auch den älteren Menschen, das Thema von sich aus anzusprechen. „Auf den anderen zu warten, ist die schlechteste Strategie“, sagt Berner.

Doch es gibt genauso gut die andere Entwicklung: Dass es jenseits der 50 erst richtig los geht. Gerade Frauen erleben Sex dann oft sehr viel sinnlicher und intensiver als in ihrer Jugend, meint die Sexualmedizinerin Ulrike Brandenburg. „Ich erlebe immer wieder Frauen, die erst in diesem Alter selbstbewusst mit dem Partner über sexuelle Wünsche sprechen“, sagt die Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung im Magazin „Vital“. So kann das sexuelle Selbstbewusstsein im Alter noch einen ordentlichen Schub bekommen.

Neueste Forschungsergebnisse aus Schweden stützen Ulrike Brandenburgs Erfahrungen. Wissenschaftler von der Universität Göteborg führten bei 1500 Männern und Frauen eine Langzeitstudie von 1971 bis 2000 durch und kamen zu dem Ergebnis, dass die sexuelle Zufriedenheit der über 70-Jährigen besonders bei den Frauen stark angestiegen ist. Auch die Orgasmushäufigkeit der befragten Schwedinnen hatte deutlich zugenommen. „Unsere Studie zeigt, dass ältere Menschen sexuelle Aktivitäten und die dazu gehörenden Gefühle als natürlichen Bestandteil des Alters betrachten“, sagte der verantwortliche Forscher Nils Beckmann dem Fernsehsender n-tv.

Dann kann es sogar zu einer Tendenz kommen, die dem Jugendlichkeitswahn in Medien und Gesellschaft widerspricht. Denn während viele ältere Menschen ungebrochen weiter sexuell aktiv sind und sich die Intensität der Liebe sogar steigern lässt, erleben manche junge Paare im Bett eine Flaute. „Gerade bei jungen Männern ist Lustlosigkeit ein zunehmendes Phänomen“, hat Ulrike Brandenburg beobachtet. Ursache ist meistens beruflicher Stress.

Eines ist jedenfalls klar: Das Bild von den asexuellen älteren Menschen ist längst überholt.

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