Doppelte Verführung der Sinne: Essen und Erotik

Essen und Erotik sind in der Kulturgeschichte der Menschen untrennbar verbunden. Seit Urzeiten glauben Menschen an die magische Kraft des „Einverleibten“ und versuchen deshalb, Körper, Geist und Psyche über Essen zu beeinflussen. Das gilt besonders im Hinblick auf Sexualität, Fruchtbarkeit und Erotik.

Schon unsere Sprache

Jemanden „vernaschen“, „zum Fressen gern haben“, „anknabbern“, weil er oder sie „süß“, „knackig“, „saftig“, eine „Sahneschnitte“ oder „Torte“ ist, dies sind gängige Redewendungen – für erotische Prozesse oder sexuelle Interessen. „I want to eat you“ ist keine Ansprache an einen Kaninchenbraten, sondern eine andere, durchaus direkte Aufforderung zum fleischlichen Genuss. Wenn neue Frauen „Frischfleisch“ sind, dann wird der „Macho-Blick“ oder das verächtliche bzw. benutzende Verhalten gegenüber Frauen schnell offensichtlich. Die Sprache macht deutlich, wie eng die Handlungen und Gefühle, welche die Menschen wohl von Anbeginn her begleiten – nämlich Essen, Begehren und Zuneigung, im Denken und auch im Leben der Menschen verbunden sind.

Mythen und Sagen – das Spiel der Geschlechter 

Von der besonderen Kraft einzelner Speisen und Getränke erzählen viele Mythen oder Sagen. Der Apfel ist ein altes Symbol. Er war die Frucht der Liebesgöttin Aphrodite. Auch der „Apfel der Erkenntnis“ der Paradiesgeschichte symbolisiert Sexualität. Nicht nur, weil er zur Verführung Adams genutzt wurde, sondern auch, weil sein Name es verrät: Der Begriff „erkennen“ wird in der Bibel benutzt, um die geschlechtliche Vereinigung zu kennzeichnen. Schon die Paradiesgeschichte beinhaltet gleichzeitig eine Geschichte der Geschlechter. Sie ist neugierig, vorwitzig und ungehorsam. Er ist unsicher, ängstlich – und ist es nicht gewesen, denn er wurde nur verführt.

Adam entspricht zwar noch nicht dem Ideal der Männlichkeit, aber immerhin ist die Frage der Schuld geklärt: die trägt das Weib, wie so oft. Auch Tristan entspricht nicht dem Bild des gehorsamen Ritters seines Herrn, wenn er sich in dessen Verlobte Isolde verliebt. Aber auch er kann nichts dazu, weil er unwissend von dem Zaubertrank nimmt, so wie sie auch. Der Macht dieser Liebe sind sie ausgeliefert und moralisch „aus dem Schneider“. Solche Zaubertränke wurden auch „Hexen“ in Auftrag gegeben, um Menschen wider deren Willen zu verführen. Wie anders sollte man(n) nachträglich erklären, wenn ein Mann den Reizen einer Frau erliegt, die nicht die eigene Ehefrau ist? Man(n) ist verzaubert worden!

Essen als Vorspiel: Das Diner zu zweit
 

Austern, Champagner, Kuchen sind die Insignien des „Diner à Deux“. Die Bereitschaft zum Liebesakt wurde durch das Liebesmahl vorbereitet, wie es auch viele Gemälde darstellen. Schon Casanova nutzte die vielfältige Symbolik und Wirkung des Essens. Ein gutes Mahl war für ihn ein unverzichtbares Vorspiel und Teil des gemeinsamen sinnlichen Erlebens. Auch heute hat das Essen als Mittler zwischen den Geschlechtern – und deren Phantasien – nicht ausgedient. 

Ein Blick in die alltäglichen Werbebotschaften zeigt, dass unser Alltag überhäuft ist mit sexueller Symbolik (Phallussymbole wie bei Eis oder Müsliriegel, Vulva wie bei dem Auslecken der Rocher- Kugel – „Je ne regrette rien“) und Vorschlägen zur Verführung (mit Kaffee, Süßigkeiten, Pizza oder Käse). Doppeldeutiger Fleischwerbung („ich mag es mit jungem Gemüse“) folgen „Holger und Karl“, die an den beiden Enden einer Tagliatelle von Iglo grinsen. 

Der Alltag kennt aber auch die Realität des Diner à Deux, des Essens als Bindeglied und „Vorspiel“ in vielfachen Varianten, vor allem am Beginn einer Beziehung. Essen und Sexualität sind untrennbar verbunden. Es fragt sich, was denn ihren Zusammenhang und ihr Zusammenwirken immer wieder herstellt?

Zwischen Physiologie, Sinnlichkeit und Phantasie 

Schon für den Säugling sind beim Stillen die Dämpfung des Hungers, soziale Nähe und Stimulierung des „Lustzentrums“ Mund miteinander verbunden. Wenn auch gerade ForscherInnen wieder festgestellt haben wollen, dass ein Kuss ein Kuss ist und kein rudimentärer Fütterungsakt, so bleibt doch bestehen, dass beim Essen wie beim Kuss der Mundraum stimuliert wird. Die hormonellen Botschaften, die mit der Nahrungsaufnahme versandt werden, reduzieren die Folgen des Alltagsstresses, in dem zum Beispiel der Adrenalinspiegel gesenkt wird. Dies schafft uns das angenehme Gefühl der Entspannung, das mit der Sättigung einhergeht, das durch eine den Sinnen schmeichelnde Qualität gesteigert wird und das Oscar Wilde zu der schönen Aussage verleitet hat: „Nach einem guten Essen kann man jedem verzeihen, auch der eigenen Verwandtschaft“. 

Ein sehr gutes und sehr reichhaltiges Essen kann jedoch alle Energien für die Verdauung abziehen. Das Behagen der Sättigung mag bleiben, die sexuelle Begierde ist aber nicht zum Zuge gekommen – eine Wirkung, die in ihren Facetten von unseren Großmüttern weise zur Steuerung des Hungers der Großväter eingesetzt wurde. Und da mit wachsendem Übergewicht auch das sexuelle Interesse sowie das sexuelle Vermögen zurückgehen, war ein gut gefütterter Gatte auch eher ein treuer und friedlicher Ehemann.

Bei diesem Text handelt es sich um Auszüge des Aufsatzes „ Essen und Erotik“ von Prof. Dr. Barbara Methfessel, Ernährungs- und Hauswissenschaftlerin an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg

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