Der berühmteste Kuss der Welt
Unter dem Titel „Der Kuss – Die Paare“ sind in München und Essen Werke Auguste Rodins zu sehen. Das Ausstellungskonzept ist spannend und ungewöhnlich
Sein „Kuss“ hat ihn weltberühmt gemacht. Auguste Rodins Darstellung eines innigen Liebespaares ist noch heute in unzähligen Wohnzimmern zu Hause – sei es als Poster oder als dreidimensionaler Abguss. In München und Essen gibt es in diesen Wochen die Gelegenheit, sich mal auf ganz besondere Weise mit dem Original zu beschäftigen. In Gips, Bronze und auf mehreren Fotos werden die selbstvergessen Küssenden aus immer neuen Perspektiven gezeigt. Ein Sinnbild der Sinnlichkeit sind sie aus jedem Blickwinkel. Und doch zeigen gerade die fotografischen Aufnahmen, dass „Der Kuss“ je nach Ausstellungsraum eine ganz andere Wirkung auf den Betrachter ausübt. Rodin selbst hat die Aufnahmen autorisiert, die vor ganz unterschiedlichen Hintergründen entstanden sind und die leidenschaftlich Liebenden mal sanft, mal fast sachlich erscheinen lassen.
Auch der Ausstellungsmacherin, der Bonner Kunsthistorik-Professorin Anne-Marie Bonnet, ging es darum, einen neuen Blickwinkel auf die scheinbar so vertrauten Arbeiten Rodins zu eröffnen. Neben den Küssenden hat sie verschiedene Versionen von 38 anderen (Liebes-) Paaren Rodins zusammengetragen. Ausgehend von der Höllenpforte mit der Darstellung von Adam und Eva sind Zweierskulpturen aus allen Schaffensperioden des großen Bildhauers zu sehen. Auch die Themen „Mutter und Kind“ und „Künstler und Muse“ werden in diesem Zusammenhang abgehandelt. Viele der Paare werden dem Betrachter bekannt vorkommen: Rodin ließ sich gerne von Mythen, Sagen sowie literarischen und biblischen Motiven inspirieren. Bonnet glaubt in diesen Zweierdarstellungen ein durchgehendes Muster entdeckt zu haben: Während die Paarskulpturen auf den ersten Blick uneingeschränkte Harmonie verstrahlen, hat sie auf den zweiten Blick eine gehörige Grundspannung in ihrer Körpersprache entdeckt. Ein Indiz, das Rodins Verhältnis zu Frauen um einiges vielschichtiger aussah, als allgemein angenommen wird.
Fest steht: eine Rodinausstellung ist auch ohne derartige „Hintergedanken“ ein sinnlicher Genuss – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes: Wer seine Augen über die glatten, geschwungenen Oberflächen gleiten lässt und das lebendige Spiel von Licht und Schatten genießt, der versteht den Künstler auch ganz ohne Worte. Die Kunst erkenne auch im Hässlichen das Schöne, hat Rodin selbst einmal gesagt. Seine anmutigen Skulpturen zeigen dem Betrachter jene Schönheit, die er selbst zu sehen vermochte. Vorbild seines Schaffens war stets die reale Natur. Die meisten seiner Plastiken entstanden nach dem Vorbild lebendiger Modelle, die er nackt durch sein Atelier spazieren ließ. Gefiel ihm eine Pose oder eine bestimmt Haltung besonders, formte er sie blitzschnell in Ton nach. So entstanden Skulpturen, bei denen es nicht in erster Linie um die Nachbildung von Details ging. Stattdessen zeigen sie eine besondere Lebendigkeit des Ausdrucks.
Auguste Rodin vermochte Lust, Hingabe und Leidenschaft so lebendig darzustellen, dass er den Betrachter immer wieder in seinen Bann zieht – sogar wenn viele Darstellungen uns längst so vertraut erscheinen. Ein Ausstellungsbesuch in München oder Essen ist also ohne Frage lohnenswert – und mit Sicherheit ein Erlebnis, dass alle Sinne anregt.
Die Ausstellung „Auguste Rodin: Der Kuss – Die Paare“ ist noch bis zum 7. 1. 2007 in der Kunsthalle der Hypo Kulturstiftung in München zu sehen. Vom 26. 1. 2007 bis zum 9. 4. 2007 gastiert die Schau im Essener Folkwang Museum. Weitere Informationen finden Sie unter www.hypo-kunsthalle.de bzw. unter www.museum-folkwang.de
(erstes Bild) Zwei nackte knieende Frauen. © Musée Rodin, Paris. VG Bild-Kunst Bonn, 2006/Foto: Jean de Calan
(zweites Bild) Ich bin schön. © Musée Rodin, Paris. Foto: Adam Rzepka
(drittes Bild) Anonym. Fotografie von Der Kuss (Le Baiser). © Musée Rodin, Paris
(zviertes Bild) Fliehende Liebe. © Musée Rodin, Paris. Foto Adam Rzepka/VG Bild-Kunst Bonn, 2006