Mehr als ein Tanz
Der Tango-Forscher Michael Dudley ergründet die intim-erotischen Geheimnisse des südamerikanischen Traditionstanzes
Tango – wer denkt da nicht an Buenos Aires, den Klang des Bandoneons und südländisches Flair. Doch der traditionelle Tanz aus Argentinien und Uruguay hat längst auch in Deutschland Fuß gefasst. Immer mehr Menschen fühlen sich von ihm magisch angezogen, besuchen Kurse und tanzen auf Tango-Abenden. Der südamerikanische Traditionstanz ist hierzulande salonfähig geworden.
Michael Dudley beschäftigt sich seit langem mit der Frage, warum das so ist. Er hat ein Buch über den Tango geschrieben, hält auf internationalen Fachkonferenzen Vorträge über kulturhistorische Perspektiven des Tanzes, er organisiert Tango-Seminare für Manager und Geschäftsfrauen und hat sogar schon einige neue Tangolieder komponiert.
Dabei ergründet Dudley auch das Geheimnis der intimen erotischen Nähe, die beim Tanzen zwischen Mann und Frau entsteht. So ist ihm beispielsweise aufgefallen, dass sich neuerdings verstärkt junge, fortschrittliche, emanzipierte Frauen für den Tango interessieren, obwohl der doch allgemein als Verkörperung stolzer Macho-Männer gilt. Wo früher das Klischee „Der Herr führt, die Dame verführt“ galt, drücken die tanzenden Frauen heute ihre eigene Sexualität im Tango aus, artikulieren dadurch ihre Träume und sind gleichberechtigte Partnerin im Körperdialog. Der Tanz ist selbst ein Mittel der Emanzipation geworden.
Darüber hinaus hält der Klassiker aus Südamerika noch weitere Überraschungen bereit. Tanztherapeuten empfehlen den Tango zum Abbau latenter Berührungsängste, auch bei Kommunikationsblockaden innerhalb einer Partnerschaft ist er hilfreich. Und gesund ist das Ganze auch noch: Orthopäden und Krankengymnasten haben herausgefunden, dass Tangotanzen Rückenbeschwerden vorbeugt, weil die Haltung der Tänzer die Wirbelsäule schont. Verkrampfungen lösen sich, das Bewusstsein für den eigenen Körper nimmt zu, harmonisches Wohlbefinden entsteht. Leidenschaftliche Tango-Tänzer schwärmen vom Einklang, in dem Körper und Geist lange nach dem Verklingen des letzten Tons noch stehen.
Tango-Forscher Michael Dudley plädiert dabei besonders für die ursprüngliche Form des südamerikanischen Tanzes, den sogenannten „Tango ríoplatense“ – benannt nach dem Rio de la Plata, der Argentinien und Uruguay trennt. Anders als der Standardtanz beruht der „Tango ríoplatense“ weniger auf der Routine festgelegter Schrittfolgen und stärker auf Improvisation. Das aber bedeutet: Beide Tänzer müssen ständig hochkonzentriert sein, um perfekt aufeinander einzugehen. Tangotanz bedeutet daher auch Stimulierung des Gehirns und Verfeinerung der Motorik – lauter Faktoren, die den Alterungsprozess verlangsamen.
Denn neben den jungen Frauen sind heute auch leidenschaftliche Tangotänzer im Rentenalter keine Seltenheit mehr. Niemand wüsste das besser als Michael Dudley: Eine seiner Tanzpartnerinnen ist 77 Jahre alt. www.tango-hautnah.de