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Wie viel Egoismus tut uns gut?

Egoismus belastet andere und seine Bedeutung für die menschliche Evolution könnte geringer sein als viele denken. So weit die Forschung. Gesunden Eigensinn aber brauchen wir

In der S-Bahn schiebt er sich mit ausgefahrenen Ellenbogen zum freien Sitzplatz. Das Ende der Kassenschlange im Supermarkt ignoriert er. Hemmungslos prescht er in die freie Parklücke, direkt vor den Augen des Wartenden. Der Egoist: eine gefürchtete Spezies. Sein Lebensmotto: Wenn jeder an sich selbst denkt, ist an jeden gedacht.

Die gesunde Portion Eigensinn

Ein bisschen davon steckt in jedem von uns. „Der Mensch braucht eine gewisse Portion Eigensinn“, sagt Dr. Udo Baer, Körpertherapeut aus Nordrhein-Westfalen. „Dieser Sinn für die eigenen Bedürfnisse und Wünsche ist eine wichtige Voraussetzung für die seelische Gesundheit.“ Und er schafft die Basis für gedeihliches Miteinander.


„Unsere Grunderfahrung aus der therapeutischen Praxis ist: Nur wer Sinn für das Eigene hat, kann auch den Eigensinn anderer Menschen respektieren.“ Dies ermöglicht gegenseitige Rücksichtnahme, Toleranz und Frieden. Dr. Baer spricht von „gesundem“ Egoismus, wenn die Bedürfnisse der anderen Menschen in das eigene Handeln einbezogen werden. „Ungesund egoistisch“ ist hingegen ein Verhalten, das Grenzen überschreitet und andere benachteiligt. „Dieser Egoismus geht immer mit Erniedrigung und Abwertung einher“, sagt er. Der Umgang mit egoistischen Personen ist deshalb so  unangenehm, und er kann – bei chronischer Belastung zum Beispiel durch Kollegen oder Ehepartner – richtig anstrengend sein.

Der Egoist aber versteht die Welt nicht, wenn er auf sein Verhalten angesprochen wird. Er meint es doch weder persönlich noch böse, allenfalls räumt er ein, gedankenlos gewesen zu sein. Ihr Biotop ist die „Ellenbogengesellschaft“, in der ein gewisses Maß an Rücksichtslosigkeit sogar beim beruflichen Fortkommen hilft.

Ist der Mensch von Natur aus egoistisch?

Der Mensch sei von Natur aus egoistisch, die Ich-Bezogenheit stecke ihm in den Genen; nur sie sicherte einst sein Überleben in der Wildnis. So lautete jahrzehntelang das Credo der Evolutionsbiologen. Jeder gegen jeden, fressen oder gefressen werden, der Stärkere setzt sich durch. Ist es so? Jüngere Erkenntnisse aus Hirnforschung und Sozialpsychologie deuten auf das genaue Gegenteil hin: Der Mensch ist demnach von Natur aus kooperativ. „Selbstlos siegt“, resümiert Wissenschaftsautor Stefan Klein die aktuelle Forschung. „Der Netteste überlebt“, umschreibt der amerikanische Psychologie-Professor Dacher Keltner die neue Denkrichtung. Im Jahr 2011 hat Keltner an der renommierten Stanford University ein „Zentrum zur Erforschung des Mitgefühls und des Altruismus“ gegründet. Den Leitspruch des Instituts lieferte der Dalai Lama: „Wenn du andere glücklich machen willst, habe Mitgefühl. Wenn du selbst glücklich werden willst, habe Mitgefühl.“

Selbstlosigkeit macht glücklich

Die Neurobiologie bestätigt das buddhistische Motto: Selbstlose Handlungen sorgen im Gehirn für die Ausschüttung von Glücksbotenstoffen, wie Naomi Eisenberger von der University of California mit bildgebenden Verfahren nachwies. Geben ist seliger denn nehmen, das behauptet nicht nur das Neue Testament, sondern bestätigt mittlerweile auch die Sozialforschung. So zeigte unter anderem Stephanie Brown von der University of Michigan, dass Menschen, die andere unterstützen, länger und zufriedener leben als andere. Einkommen, Bildungsstand und Stresserleben spielen dabei keine Rolle.

Kooperatives Verhalten sichert langfristig das Überleben

Auch evolutionsbiologisch ergibt Altruismus offenbar Sinn. In mehreren Studien wurde anhand von Computersimulationen belegt, dass in der frühen Menschheitsgeschichte kooperatives Verhalten das langfristige Überleben der Gruppe sicherte, weil dadurch die Ressourcen optimal verteilt und größtmöglicher Schutz für alle gewährt wurde. Der in Gruppen tief verankerte Gerechtigkeitssinn, ihre Regeln und Normen sorgen scheinbar seitdem dafür, dass sich die meisten Mitglieder ans Teilen halten, dass sie fair und ehrlich sind und für „Trittbrettfahrer“ keine Sympathien hegen.

Mittlerweile haben Schweizer Wissenschaftler sogar jenes Areal im Gehirn lokalisiert, in dem unsere egoistischen Impulse kontrolliert werden: der vordere Stirnlappen. Als die Forscher in einem Experiment bei freiwilligen Versuchspersonen diesen Hirnbereich mittels Magnetstimulation kurzfristig außer Gefecht setzten, handelten die Probanden egoistischer. Nach Ansicht der Hirnforscherin Daria Knoch von der Universität Basel könnte diese Beobachtung auch das impulsive und egoistische Verhalten vieler Teenager erklären: Denn bei ihnen arbeitet der vordere Stirnlappen noch nicht mit seinem vollen Funktionsumfang.

(Quelle: gesundheitpro.de; Autorin: Ingrid Kupczik)

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