Titelthema

„Es war gut, darüber zu sprechen“

Welche Auswirkungen hat der vorzeitige Samenerguss auf Männer und Paare? Und wie kann ihnen geholfen werden? Antworten gibt der Arzt und Psychotherapeut Dr. Michael Berner

Dr. Michael Berner ist Oberarzt für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universitätsklinik Freiburg und Ärztlicher Direktor der Rhein- Jura-Klinik in Bad Säckingen. Das Mitglied im ISG-Vorstand erklärt den vorzeitigen Samenerguss aus psychologischer Sicht.

Liebe hält gesund: Herr Dr. Berner, gibt es psychische Ursachen für den vorzeitigen Samenerguss? Dr. Berner: Der vorzeitige Samenerguss ist ein Reflex, der willkürlich kontrolliert werden kann. Fast jeder Teenager kommt relativ früh, weil er ganz einfach Sex noch nicht gelernt hat. Und in dem Maße, wie wir das tun, lernen wir auch den Samenerguss zu kontrollieren. Aber bei manchen Männern ist das eben nicht so. Das hat aber durchaus ein neurobiologisches Korrelat. Es gehört eine körperliche Veranlagung dazu, diese Störung zu entwickeln.

Wie kann man es lernen, den Reflex zu kontrollieren? Es gibt im sexuellen Reaktionszyklus die Plateauphase: Die ist bei Männern sehr kurz und schlägt schnell in den Orgasmus um. Die betroffenen Männer merken es nicht, wenn sie an diesem Plateau an den „Point of no Return“ kommen. Alle Trainingsarten zielen auf die Bewusstwerdung dieses Punktes ab.

Welche psychischen Folgen hat der vorzeitige Samenerguss für diese Männer? Wenn ich mit meiner Partnerin keinen zufriedenstellenden Sex haben kann, hat das natürlich deutliche Auswirkungen darauf, wie ich mich als Mann fühle und wie sich die Partnerschaft gestaltet. Es wird eine Partnerschaft sein, in der die typisch männliche Vorstellung von Sexualität nicht befriedigt sein wird. Und das wird wiederum Rückwirkungen auf das Selbstbild haben: Fühle ich mich unmännlich? Oder nicht vollständig als Mann? Das kann bis zu depressiven Verstimmungen führen.

Wie wirkt sich das Problem auf die Partnerschaft aus? Die europaweite „PE Confidential“-Studie hat gezeigt, dass sich etwa 20 Prozent der Männer oder der Partnerinnen große Sorgen machen, was die Stabilität der Partnerschaft angeht. Über ein Drittel der Partnerinnen sind frustriert über das Sexleben oder fühlen sich nicht mehr begehrt. Es gibt auch Männer, die deshalb Schwierigkeiten haben, überhaupt eine Partnerschaft zu beginnen, und irgendwann ganz aufgeben.

Wie erleben Sie die betroffenen Männer in der Praxis? Viele Männer haben große Hemmungen, darüber zu sprechen. Aber wenn das Gespräch vorbei ist, sagen die meisten, dass es richtig gut war, darüber zu sprechen.

Sollte man diesen ersten Schritt zum Arzt gemeinsam mit der Partnerin gehen? Absolut. Die meisten Männer gehen zunächst allerdings lieber allein. Aber da Sexualität natürlich zwei Menschen betrifft, ist es immer sinnvoll, die Lösung zu zweit zu suchen.

Und welche Rolle spielt die Partnerin bei der Behandlung? Je unverkrampfter die Partnerin mit dem Problem umgeht, desto positiver wird es sich auf den Mann auswirken. Allerdings ist es für die Partnerin natürlich auch sehr schwierig. Einerseits ist sie oft im wahrsten Sinne des Wortes unbefriedigt. Andererseits soll sie verständnisvoll mit dem Partner umgehen. Das ist eine relativ schwierige Balance.

Wie funktioniert die medikamentöse Therapiemöglichkeit? Man weiß schon lange, dass bestimmte Medikamente zu einer Ejakulationsverzögerung führen können. Das neu zugelassene Medikament hat gegenüber früheren aber den Vorteil, dass man es bei Bedarf einnehmen kann. Die Zeit bis zum Samenerguss steigert sich dann so etwa um das Vierfache. Das fühlt sich für viele Männer dann zum ersten Mal richtig an.

Wie lange vor dem Geschlechtsverkehr sollte man das Medikament einnehmen? Etwa eine bis drei Stunden vorher. Weil das Medikament eine kurze Halbwertszeit hat, ist es nach wenigen Stunden wieder zum größten Teil aus dem Körper draußen.

Wenn sich jemand gegen das Medikament entscheidet – was sind die Alternativen? Grundsätzlich sind erst einmal die übenden Verfahren durchaus anzustreben. Für viele Männer stellt das Medikament allerdings die attraktivere Therapie dar, weil es eine rasche Lösung bringt. Die Übungen sind auch gar nicht einfach, weil man die Partnerin mit an Bord braucht. Das ist eine gemeinsame Entscheidung, die Zeit und Einsatz von beiden Partnern erfordert.

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